Im hessischen Landtag wurde bereits 2011 die Schwierigkeit bei der Trassenwahl festgestellt:
"Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zur Autobahn A49 - VKE 40 - sind auf Grund der ungünstigen Trassenwahl Fragen
zum Grund-, Trink- und Oberflächenwasserschutz sowie der Sprengstoffaltlastenproblematik aufgeworfen worden: Die geplante
Trasse der A 49 soll auf einer Strecke von 2,5 km durch den Bereich des Altlastenstandortes des ehem. Sprengstoffwerkes WASAG
im Bereich der Stadt Stadtallendorf führen. Dieser unter Altlastenverdacht stehende Bereich liegt zudem in der Schutzzone III a
der Trinkwasserbrunnen des Wasserwerkes Stadtallendorf des Zweckverbandes Mittelhessische Wasserwerke (ZMW), der größten
und bedeutendsten Trinkwassergewinnungsanlage Mittelhessens."
Das führte allerdings nicht dazu, dass alles Mögliche unternommen wurden, um Schaden vom Trinkwasser fernzuhalten. Bis jetzt weigerten sich alle Verantwortlichen, Konsequenzen aus der mangelhaften Sanierung zu ziehen, obwohl verschiedene Behörden seit April 2021 über Missstände informiert wurden. Hier geht es zu den damaligen Dokumentationsfotos.
Das Regierungspräsidium reagierte im erst auf Presseanfragen zur Pressemitteilung "Gift auf dem Weg ins Grundwasser?" und nahm die Vorwürfe nicht ernst. Die Ergebnisse weiterer Recherchen sind weiter unten zusammengefasst.
Und sämtliche übrigen Behörden gehen den Missständen nicht nach, sondern verweisen auf die Verantwortung des Regierungspräsidiums Gießen.
Keine Bewertung des Sanierungserfolgs?
Nach dem hessischen Handbuch Altlasten (S. 20) ist vor der Freigabe einer Sanierungsfläche eine Bewertung des Sanierungserfolgs durch das Regierungspräsidium erforderlich.
Der Bescheid des Regierungspräsidiums zur Sanierung verlang eine Abschlussdokumentation unmittelbar nach Abschluss der Sanierung. Das war laut Angaben der DEGES im August 2020. Der Bericht lag dem Regierungspräsidium erst ein halbes Jahr später vor.
Im Juni 2021 wurde die Einsichtnahme in die Stellungnahme zur Sanierung beantragt. Sie wurde allerdings erst im Juli 2021 verfasst - da waren die Arbeiten in vollem Gang. Die Bauarbeiten begannen lange vor der Stellungnahme des Regierungspräsidiums, die erst im Juli 2021 erfolgte.
1) Wichtige Bereiche des WASAG-Geländes ohne Grundwasserbeprobung
Für Bereiche, die nicht saniert, aber aufgrund ihrer Nutzung während des zweiten Weltkrieges wahrscheinlich kontamiert sind, liegen seit Jahren keine Werte vor, obwohl diese sowohl laut Planfeststellungsbeschluss als auch laut Sanierungsplan erforderlich sind. Dabei gab es weder ein hydrogeologisches Gutachten, um die Fließrichtung des Wassers zu bestimmen, noch wurden die Bestimmungen umgesetzt wie vorgeschrieben.
2) Bedeutende Teile der Trasse ohne Sanierung
Wie auf dem Sanierungsplan der DEGES erkennbar ist, wurde nur ein Teil der Trasse saniert. Das ist unverantwortlich, da belegt ist, dass nicht alle ehemaligen Gebäude auf den Karten eingezeichnet sind. So waren die Verantwortlichen über die Lage eines Küchengebäudes überrascht: "Dass sich das Lager an genau dieser Stelle im Herrenwald befand, war auch für Experte Jürgen Wolff vom Heimat- und Geschichtsverein eine Überraschung. „Wir hatten es an einer anderen Stelle vermutet“, berichtet die Oberhessische Presse.
Dass solche Pläne außerdem keine hinreichenden Auskünfte über die Belastung geben, ergibt sich aus den Sprengungen nach dem Krieg (vgl. S. 54 ff der Schrift zum Altlastenprogramm der Bundeswehr. )
Dass bisher nur die Füllgruppe 2 saniert wurde, lässt auch völlig außer Acht, dass die Reichweite der Belastungen vom Mittelpunkt aus mindestens 250 m betragen, teilweise eine Abgrenzung auch überhaupt nicht erkennbar ist. (vgl. dazu Annette Joos u. a., Leitfaden Rüstungsaltlasten, S. 75 und 83)
Auch bei der Sanierung des nahegelegenen DAG-Geländes wurde festgestellt, dass die Abgrenzung mehrerer Belastungsfahnen aufgrund der hydrogeologischen Gegebenheiten nicht möglich war (vgl. den Abschlussbericht der HIM Monasta, S. 16) Somit ist es völlig unzureichend, die Verdachtsbereiche nicht nur Beprobung zu identifizieren, sondern allein auf Basis der Auswertung von Planungsunterlagen. Dass die der Sanierung vorangegangenen Untersuchungen zu den belasteten Bereichen auf der Trasse unzureichend waren, zeigt sich auch daran, dass nichts über das nicht kartierte Gebäudes auf der Trasse bekannt ist, das nach den Rodungsarbeiten zum Vorschein kam. Erst im September hat das Regierungspräsidium dort Baggerschürfen angeordnet, die Kontaminationen aufzeigten. Damit ist erwiesen, dass die Nebenbestimmungen zum Bodenschutz im Planfeststellungbeschluss vor Baubeginn unzureichend erfüllt waren.
3) Belastete Hölzer, Wurzeln und Nadeln auf der Trasse verteilt
Auf den Verdacht, dass sich mit Sprengstoffen belastete Wurzelstöcke (Quelle S. 58, 63, weitere Informationen hier) geschreddert auf der Trasse befinden und nun zunehmend das Trinkwasser verunreinigen, ließ das Regierungspräsidium verlauten, die Wurzelstücke seien beprobt und für unschädlich befunden worden, über 600 Tonnen seien „energetisch verwertet und somit ordnungsgemäß entsorgt worden. Ein Verbleib dieser Holzabfälle auf dem Trassenbereich könne somit ausgeschlossen werden“. Nicht erwähnt ist in dem Antwortschreiben der DEGES, dass die Entsorgungsprotokolle allesamt aus dem Jahr 2019 stammen und damit die Stubben, die in verschiedenen (teilweise großen) Baufeldern erst 2020 gerodet wurden, nicht entsorgt sein können. Auch wurden die Stubben außerhalb des Sanierungsgebietes nicht entsorgt, das ca. die Hälfte des Trassengeländes ausmacht, das das Altlastengelände durchkreuzt - ungeachtet der Tatsache, dass nach dem Krieg unkontrollierte Sprengungen auf dem Gelände erfolgte. Kein Wunder, dass sich im April auf der Trasse noch zahlreiche auffällig orange verfärbte Wurzelstöcke gefunden wurden, die im Gegensatz zu Vergleichsproben positiv auf einen TNT-Schnelltest reagiert haben. Das Regierungspräsidium in Gießen ging diesen Hinweisen nicht nach, obwohl solche TNT-Schnelltests auf dem benachbarten DAG Gelände genutzt wurden, um festzustellen, an welchen Stellen Sanierungsbedarf vorhanden ist (vgl. Mosal-Bericht S. 103). Hier gibt es weitere Informationen.
4) Unvollständige Sprengstoffliste
Nach einem Zeitungsbericht kennt das Regierungspräsidium in Gießen keine Schadstoffe auf dem Gelände des ehemaligen Sprengstoffwerkes der WASAG in Stadtallendorf, die im Planfeststellungsbeschluss nicht berücksichtigt wurden. Dabei bleibt darin u. a. das für die Hexylproduktion notwendige Dinitrodiphenylamin unberücksichtigt (vgl. Wolff, Hans-Jürgen, Die Allendorfer Sprengstoffwerke DAG und WASAG, Stadtallendorf, 1989, S. 315). Hier gibt es weitere Informationen.
5) Fehlende Sickerwasserprognose
Obwohl das „Hessische Handbuch Altlasten“ bei schädlichen Bodenveränderungen in der ungesättigten Zone, wie sie im WASAG-Gelände vorhanden sind, eine Sickerwasserprognose erfordert (S. 6 und 13f), wurde im WASAG-Gelände augenscheinlich keine durchgeführt. Das Regierungspräsidium schreibt dazu auf eine HUIG-Anfrage (im Original ohne Fettdruck): „Altlastenrelevante Grundwasseruntersuchungen bzw. Sickerwasserprognosen im Zusammenhang mit dem WRRL-Gutachten liegen mir nicht vor und sind nicht Gegenstand von Fachbeiträgen nach WRRL. … Aufgrund der erfolgreichen und abgeschlossenen Altlastensanierung im Trassenbereich der WASAG (=keine Schadstoffquelle mehr vorhanden) besteht hierzu kein Erfordernis.“
Insgesamt sind dies alles deutliche Indizien dafür, dass mit dem Ausbau gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot verstoßen wird. Schließlich ist es wahrscheinlich, dass die giftigen Stoffe, die offenkundig freigesetzt werden, über Versickerung ins Grundwasser gelangen. Wegen der Fließrichtung gelangen sie von dort ins nahegelegene Wasserschutzgebiet, aus dem sich die Trinkwasserversorgung von 500.000 Menschen speist. (Vgl. den Abschlussbericht zum Rüstungsgebiet der DAG des hessischen Umweltministeriums, 2009, S. 10) Daher muss der Bau umgehend gestoppt werden muss. Alles andere ist ein Roulettespiel auf Kosten all derer, die auf das hier gewonnene Trinkwasser angewiesen sind.
Baustopp bei Hinweisen zu Bodenveränderungen
Alle diese Fakten müssten zu einem Baustopp führen, wie das hessische Handbuch Altlasten auf Seite 21 klarstellt. Bisher wiegelt das Regierungspräsidium allerdings ab.
Auch an anderer Stelle sind von einem Altlastenexperten die Schwierigkeiten einer Gefährdungsabschätzung dokumentiert: (vgl. Punkt 5f des links)
Grundlage einer Gefährdungsabschätzung ist eine historische Rekonstruktion. Diese muß den Betriebszeitraum, den Zeitraum der Demontage (i.a. 1945-1948) sowie die Zeit bis zur Gegenwart erfassen. Der "geregelte Betrieb" kann im allgemeinen recht gut rekonstruiert werden. Nicht bzw. nur ungenügend erfaßt werden mit der historischen Recherche
- Verteilungen von rüstungsaltlastenrelevanten Substanzen aufgrund von Bombardierungen, Unfällen und Explosionen während der Betriebszeit
- die genaue Rekonstruktion des Kanalisationssystems, in dem sich heute noch Schadstoffe befinden können bzw. das als Drainage wirken kann
- die Erprobung alternativer Produktionsverfahren, die i.a. nicht dokumentiert sind
- der Einsatz von Ersatzstoffen, hauptsächlich nach der Zerstörung der deutschen Grundstoffindustrie im Jahr 1944
- die oft provisorische Umstellung der Produktion von Angriffswaffen (z.B. Bomben) auf Verteidigungswaffen (z.B. Panzerfäuste) in den Jahren 1944 und 1945
- die verheerende und chaotische Abfallbeseitigung während der Produktionszeit
- die Sekundärkontaminationen, die durch die Demontage und Sprengungen der kriegswichtigen Anlagen in den Jahren 1945-1948 unter z.T. chaotischen, nicht zu rekonstruierenden Bedingungen durchgeführt wurde und
- die Verteilung kontaminierten Materials in der Zeit nach 1948, z.B. im Zuge der Folgenutzung des Standortes (HAAS 1992).
Prinzipiell muß also zunächst das gesamte Gebiet einer Rüstungsaltlasten-Verdachtsfläche als potentiell kontaminiert eingestuft werden. Selbst unter Zuhilfenahme von Luftbildern verschiedener Jahrgänge können nicht alle Altlastverdachtsflächen erfaßt werden.
Bei Erkundungen von Rüstungsaltlasten wurde festgestellt, daß oftmals kleine, hochkontaminierte Bereiche vorhanden sind (einige Quadratmeter), auf denen z.T. hunderte von Kilogramm unzersetzter Sprengstoff angetroffen werden (HAAS 1992).
Da ehemalige Rüstungsbetriebe oft eine Ausdehnung von mehreren Quadratkilometern besitzen, ist eine systematische Untersuchung der Gesamtfläche unmöglich, wie eine statistische Betrachtung zeigt: um einen Kontaminationsherd mit einer typischen Größe von 7 m¨ (der Größe eines Scheunentores) auf einer Fläche von 100 m¨ (10*10 m) mit 68 %iger Wahrscheinlichkeit mit einer Rastersondierung zu treffen, sind 16 Sondierungen notwendig. Pro Quadratkilometer Fläche müßten also 160.000 Sondierungen vorgenommen werden (HAAS 1992). Mit einer Rastersondierung mit einer Maschenweite von z.B. 50 m (400 Proben pro Quadratkilometer Fläche) werden somit lediglich großflächige Bodenkontaminationen erkannt, da die Trefferwahrscheinlichkeit (s.o.) lediglich bei 0,17 % liegt. (Quelle: http://www.r-haas.de/V16.html )
Im Herbst 2021 war nach umfangreichen und langwierigen Recherchen klar, dass der Planfeststellungsbeschluss nicht umgesetzt wurde wie notwendig.
Es gab allerdings keine Behörde, die bereit gewesen wäre, ihn durchzusetzen.