Russisches Roulette mit dem Trinkwasser

Die Modernisierung der Mon Cheri Produktion von Ferrero ist eine Form von Russischem Roulette mit dem Trinkwasser. Das Regierungspräsidium Gießen hat allen begründeten Einwendungen zum Trotz knapp eineinhalb Jahre nach dem Ende der schriftlichen Einwendungserörtung die notwendige Genehmigung erteilt.

 

Die Baumaßnahmen finden am Rande und in der für die Trinkwassergewinnung wichtigen Wasserschutzzone II statt und zugleich an einem Altlastenstandort, an dem während des Zweiten Weltkriegs über 100.000 Tonnen des hochgiftigen Sprengstoffs TNT produziert wurden. Das Regierungspräsidium beschreibt eine mögliche Gefährdung des Grund- und damit auch Trinkwassers u. a. aufgrund von im Untergrund „vermutlich“ vorhandenen sprengstofftypischen Verbindungen. [ii] Allerdings sind auf dem Betriebsgelände Giftstoffe nicht nur vermutlich, sondern ganz sicher vorhanden: Mit Werten von bis zu 180 mg/kg TNT-TE ist eine mehr als dreifache Überschreitung des Wertes dokumentiert, der eine Sanierung erforderlich macht.[iii] Dennoch wurde nicht angeordnet, dass Ferrero das Gelände – oder wenigstens einen Teil davon - vor der Baumaßnahme zu sanieren hat. Stattdessen braucht Ferrero bei der durchschnittlich drei Meter tiefen Abgrabung des Geländes für die meisten Bereiche nur eine einzige Probe pro 500 m3 analysieren zu lassen, also eine Probe auf ca. 50 LKW-Ladungen voller Boden.[iv]

 

Noch heute, fast 80 Jahre nach Kriegsende, werden mithilfe einer hydraulischen Sicherung jährlich ca. 100 Kilogramm an Sprengstoffen aus dem Wasser gefiltert.[v] Dafür wird der auf dem Ferrero-Gelände  befindliche Abschöpfbrunnen ASB08 als unentbehrlich angesehen. Dennoch – und obwohl das Regierungspräsidium zugibt, dass damit die Schadstoffentnahme aus dem Grundwasser reduziert ist  – darf Ferrero den Brunnen für unbestimmte Zeit außer Betrieb nehmen. Genaue Auswirkungen der Abschaltung wurden für die Genehmigung nicht untersucht. [vi]  In Ermangelung eines Bauzeitenplans ist auch nicht klar, wie lange Ferrero die Abschaltung plant. Und das Regierungspräsidium nutzt die Möglichkeit nicht, in seiner Genehmigung dazu konkrete Vorgaben zu machen. [vii] Selbst ein provisorischer Abschöpfbetrieb ist nur vorgeschrieben, „soweit technisch möglich“.[viii]

Die Grundwassermessstelle P04, die den Abschöpfbrunnen ASB 08 überwacht, soll es nach der Baumaßnahme nicht mehr  geben. Sie ist angeblich für die Überwachung des Betriebs der hydraulischen Sicherung nicht mehr notwendig.[ix]  Es erschließt sich aus den Unterlagen nicht, warum die Messstelle P 4 mit Konzentrationen zwischen 100 und 1.600 Mikrogramm/ Liter sprengstofftypischer Verbindungen (der erlaubte Grenzwert liegt bei den meisten Stoffen bei  1 Mikrogramm/ Liter!) ersatzlos gestrichen werden darf und warum diese Messstelle, die seit vielen Jahren beprobt wird, gerade jetzt nicht mehr notwendig sein soll, wo Ferrero Baumaßnahmen durchführen möchte. [x]

 

Durch die Tieferlegung des Geländes wird ein Teil der wichtigen Boden-Schutzschicht über dem Wasser unwiederbringlich zerstört. Zusätzlich gefährden die bis zu 11 Meter tiefen Bohrpfahlgründungen das Grundwasser. Mit den Fundamenten können Schadstoffe in das Wasser eindringen. Aber auch diesbezüglich gibt es keine Untersuchungen der tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort.[xi]

Die Umweltverträglichkeitsprüfung behauptet, dass Auswirkungen des Vorhabens auf die Trinkwassergewinnung durch die Trennung der beiden Hauptgrundwasserstockwerke vermieden werden.[xii] Das ist unzutreffend (vgl. die schematische Darstellung rechts aus S. 37 des MOSAL-Berichts). Dass das Regierungspräsidium dennoch keine genauen Untersuchungen vor Ort angeordnet und auch keine Vorgaben für die Außerbetriebnahme des Abschöpfbrunnens ASB08 gemacht hat, zeigt, wieviel Macht Ferrero hat. Jetzt gilt es, Klagemöglichkeiten zu prüfen und Ferrero (und ähnlich gesinnten Unternehmen) mit einer Änderung des Kaufverhaltens deutlich zu machen, dass sich eine derartige Missachtung des Wasserschutzes nicht auszahlt.

 

[ii] S. 45f der zusammenfassenden Darstellung und begründeten Bewertung des Regierungspräsidiums Gießen.

[iii] S. 39 der zusammenfassenden Darstellung und begründeten Bewertung des Regierungspräsidiums Gießen.

[iv] So jedenfalls die Rechnung in der Fuhrscheinliste der Bau-ARGE ÖPP-A49.

[v] https://www.him-stadtallendorf.de/arbeitsfelder/wasser_hydr_sicherung.html

[vi] Noch nicht einmal die Fließgeschwindigkeit des Grundwassers ist bekannt. Diese variiert im DAG-Gelände mindestens zwischen 1,3 und 83 (!) Metern pro, vgl. den Monasta-Abschlussbericht  S. 11 und 31. Per Definition ist dabei die tatsächliche – nicht genau messbare - Fließgeschwindigkeit deutlich höher als die (messbare) Abstandsgeschwindigkeit. https://www.spektrum.de/lexikon/geowissenschaften/abstandsgeschwindigkeit/167

[vii] 7.4.7. der Genehmigung

[viii] Ebda. Eine solche Formulierung entsprach beim Ausbau der A49 einem Freifahrschein der Gewässerverschmutzung: eine angeblich technisch nicht mögliche Entwässerung führte zu massiven Überflutungen eines geschützten Waldstücks mit sedimenthaltigem Wasser. Auch wurde eine Sedimentation der Einleitestelle der Fernableitung an der Todenmühle nicht verhindert. Zum notwendigen Austausch der dortigen vergammelten Strohballen, die solche Sedimente aus dem Wasser filtern sollten bzw. zur Entfernung der großen Massen an Sedimenten hieß es aus dem Regierungspräsidium, der Austausch sei nicht möglich gewesen.

[x] Entscheidungserhebliche Unterlagen S. 146f. Seit 2017 steigen die Werte sogar wieder an.

[xi] Auf S. 71 der Umweltverträglichkeitsprüfung zeigt sich, dass die bisher durchgeführten Maschinenkernbohrungen keine Auskunft über das Grundwasser geben. Damit ist nicht klar, wie gefährlich die Bohrungen sind.  

[xii] Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 106.