23.2.23
Stellen die hessischen Grünen den Wasserschutz vor den Autobahnausbau?
Beim vermutlich größten Landesparteitag seiner Geschichte haben die hessischen Grünen am Wochenende in Wetzlar die Möglichkeit, ihre Parteiführung an die Notwendigkeit des Wasserschutzes zu erinnern. Denn der bietet – anderslautenden Äußerungen von hochrangigen Grünen zum Trotz – weiterhin die Möglichkeit, den Ausbau der A 49 zu stoppen. Das weiß vor allem Tarek Al-Wazir, der jüngst eine teilweise Überprüfung der wasserrechtlichen Erlaubnisse angeordnet hatte. Diese ist allerdings mangelhaft, denn sie lässt relevante Aspekte vermissen, vor allem einen in Bezug auf den Klimawandel sehr folgenreichen: die Auswirkungen der Autobahn auf die Menge des Grundwassers in der Region. Das bedeutet, dass hier weiterhin die Möglichkeit besteht, den Ausbau der Autobahn zu stoppen.
Nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie darf mit Baumaßnahmen keine Verschlechterung der Qualität und der Quantität des Wassers einhergehen. Allerdings wurden die Auswirkungen der A49 auf die Menge der Grundwasserneubildung im Fachbeitrag der ahu GmbH zur Wasserrahmenrichtlinie kaum untersucht. Das war bereits im Oktober 2020 in einem Gutachten von Greenpeace kritisiert worden. Die Lage ist dabei bereits jetzt kritisch, wurde doch in der Region in den letzten Jahren mehrfach ein Wasserentnahmeverbot ausgesprochen [1].
Die Planfeststellungsbehörde ordnete dennoch keine Überprüfung der Auswirkungen auf die Grundwassermenge an. Sie begründet das in ihrem Schreiben an die Vorhabenträgerin DEGES damit, dass der mengenmäßige Zustand im ahu Fachbeitrag „erkannt und aufgrund der umfangreichen Anordnungen von Nebenbestimmungen … als nicht relevant eingestuft“ sei.[2] Das ist sachlich nicht ganz richtig: Die ahu GmbH schreibt, es seien „umfangreiche Maßnahmen zum Ausgleich von Versiegelungsflächen“ vorgesehen."[S. 49] Sie beziffert diesen Ausgleich aber nicht; kein Wunder, sieht der Planfeststellungsbeschluss doch lediglich eine Entsiegelung von 0,71ha vor, also deutlich weniger als 1 % der Fläche, die für die Autobahn versiegelt wird.[3]
Im Fachbeitrag findet sich auch keine Berücksichtigung der Auswirkung der Rodung von mindestens 89 Hektar Wald. Und der Fachbeitrag verzichtet auf eine genaue Berechnung der Grundwassermenge. Stattdessen argumentiert er, die versiegelte Fläche sei im Verhältnis zum Grundwasserkörper verschwindend gering (<0,5%) [S. 72]. Diese Argumentation entspricht allerdings nicht der Rechtsprechung: laut dieser muss die Verschlechterung nicht im gesamten Grundwasserkörper zu messen sein, sondern es reicht, wenn an einer einzelnen Messstelle eine Verschlechterung eintritt. [4] (Davon abgesehen würde jedes Gericht einen Dieb verurteilen, der einem Milliardär fünf Millionen Euro stiehlt, auch wenn das für den Geschädigten keine relevante Summe sein mag.)
Die Menge des Grundwassers wird auch großen Schaden nehmen durch die als „Einschnitt“ bezeichnete Tieferlegung der Trasse um bis zu zwölf Meter. Diese Einschnitte bergen etliche Risiken. U. a. wird dadurch das Regenwasser in kilometerlangen Randbereichen der Autobahn die Böschung hinab zur Autobahntrasse fließen, von wo aus es in Flüsse abgeleitet wird statt über die Versickerung im Boden ins Grundwasser gelangen zu können. Diese Führung im Einschnitt wird durch den Mangel an Sickerwasser auch mit einem großflächigen Absterben von Bäumen verbunden sein. In der Risikostudie zum Planfeststellungsbeschluss war u. a. daher als mit die wichtigste Maßnahme zum Wasserschutz beschrieben, „dass die Trasse nicht mehr im Einschnitt geführt wird.“ [5] Diese Maßnahme wurde nicht umgesetzt: Im Planfeststellungsbeschluss heißt es, „aus wirtschaftlichen Gründen“ habe „die Vorhabenträgerin die technische Möglichkeit einer Anhebung“ des Geländes nicht weiter verfolgen müssen.[6] Das heißt, der Wasserschutz war zu teuer.
Es ist daher mehr als wahrscheinlich, dass ein Gutachten zur Überprüfung der Auswirkungen des Autobahnausbaus auf Grundwassermenge zu dem Schluss kommen würde, dass die Wasserrahmenrichtlinie nicht eingehalten wird und der Ausbau der Autobahn damit gesetzeswidrig ist. Tarek Al-Wazir könnte eine entsprechende nachträgliche Anordnung zur Überprüfung erlassen. Er muss nur wollen!
[1] Wie der mengenmäßige Zustand der Wasserkörper dennoch als gut bezeichnet werden kann, ist rätselhaft:
[2] Vgl. das Schreiben der Planfeststellungsbehörde an die DEGES vom 30.11.22, S. 14
[4] BVerwG-Urteil vom 11.7.19 – 9 A 13.18 zur A 39, bestätigt durch das EuGH vom 28.5.20 (C-535/18).
[5] Risikostudie zum Planfeststellungsbeschluss vom 15.12.2006, S. 68