Ministerien decken Verstöße gegen die Bodenschutzverordnung (22.9.23)
Die hessischen Ministerien decken offensichtliche Verstöße der Bau-ARGE A49 gegen die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung. Denn im Rahmen des Autobahnausbaus wurden entgegen der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung[1] wurden Tausende von Kubikmetern Erde aus dem WASAG-Gelände verlagert, ohne dass die Schadlosigkeit vorher sichergestellt worden wäre.
Zwar wurde ein Teil der Erde nachbeprobt. Ausgerechnet die Erde zwischen Bauwerk 8 und 9 bei Niederklein aber, die aus der mit Hexyl kontaminierten Baugrube an der Artilleriestraße stammt, wurde nicht untersucht. Dabei erweckte die Pressemitteilung des Regierungspräsidiums den Eindruck, als sei diese Erde im Sommer 2022 vollumfänglich nachbeprobt worden. Aber erst als dort im Mai 2023 von Anwohner:innen Giftstoffe (PAK) gefunden wurden, wurden Proben genommen – allerdings sechs und nur an der Oberfläche. Die am ehesten verdächtige Erde wurde nicht untersucht (siehe Hintergrundinformationen unten). Insgesamt handelt es sich hier also um eine verspätete und unvollständige Untersuchung. Das ist nach der neuen Bundes-Bodenschutzverordnung ordnungswidrig, ebenso wie das Einbringen von unbeprobten Materialien aus Verdachtsflächen in die Wasserschutzzone II.[2] Katharina Lipinski von den Parents for Future kommentiert: „Es hat den Anschein, eine umfassende Beprobung der Erde aus der mit Hexyl kontaminierten Baugrube solle unter allen Umständen vermieden werden. Offenkundig fürchtet man das Ergebnis.“ Denn falls sich erweist, dass in der Dammaufschüttung eine relevante Menge an giftigen Sprengstoffen liegt, wäre das eine Straftat nach §324a StGB. Damit wäre es möglich, dass sich Behörden nach § 258a StGB der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht haben.
Bisher bleiben die hessischen Ministerien dabei, dass alles nach Recht und Ordnung vor sich gehe. So behauptet der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, es wäre gewährleistet, dass nur unbelastetes Material aus dem WASAG-Gebiet verlagert worden sei. [3] Aber ausgerechnet für den brisanten Trassenbereich nördlich der Artilleriestraße[4] liegen keine Dokumente zu einer „Freimessung“ vor. Diese Erde hätte auf keinen Fall verlagert werden dürfen, weil dort Restkontaminationen dokumentiert waren, die den Grenzwert für eine Verlagerung um das bis zu über 1000fache überschritten.[5] Das hessische Umweltministerium hält eine Nachbeprobung – entgegen der Bodenschutzverordnung (!)- auch deshalb für nicht erforderlich, weil nach mündlicher(!) Aussage eines Bauleiters die betroffene Erde nicht aus dem direkten Bereich der Artilleriestraße entstamme. Diese Aussage ist aber erwiesenermaßen falsch.[6]
Katharina Lipinski von den Parents for Future stellt fest: „Die Staatsanwaltschaft Marburg hat bisher auf entsprechende Anzeigen nicht reagiert. Die fachliche Beurteilung der Anzeigen erfolgt durch das Regierungspräsidium in Gießen, dessen Präsident Vorsitzender des Vereins Mittelhessen e. V. ist, der sich vehement für den Ausbau der A49 eingesetzt hat. Es scheint, dass die Gewaltenteilung beim Ausbau der A49 nicht funktioniert.“
Es ist zu hoffen, dass sich doch noch eine Behörde findet, die sich um den Wasser- und Bodenschutz sorgt und durchsetzt, dass beim Ausbau der A49 Recht und Gesetz eingehalten werden.
[1] § 6 (5) BBodSchV (neu) und in §12 (3) (alt), der zum Zeitpunkt der Verlagerung gültigen Bodenschutzverordnung
[2] § 26 (1) und (2) BBodSchV
[3] In einer Antwort auf einen Berichtsantrag der Linken (Drucksache 20/8687)
[4] Die hier gelegenen ehemaligen Packhäuser für das hochgiftige Hexyl wurden nach dem Krieg gesprengt, so dass die Gifte weiträumig verteilt wurden.
[5] Vgl. den Endbericht zur Sanierung vom 25.2.21.
[6] Vgl. das Foto vom 11.5.21 - an diesem Tag wurde Erde ausschließlich in die nicht nachbeprobte Dammauschüttung zwischen Bauwerk 8 und 9 verlagert.
Als in der Dammaufschüttung in der Wasserschutzzone II im Mai 2023 giftige polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffen (PAK) gefunden wurden, schrieb das Regierungspräsidium, die Herkunft des Materials müsse erst noch geklärt werden- obwohl dort die Fuhrscheinlisten vorlagen. Und trotz der Ankündigung von „eingehende(n) Untersuchungen“ wurde lediglich der äußere Rand der Erdmassen beprobt. Hier war keine Kontamination zu erwarten (vgl.[1]). Und statt der 24 notwendigen Proben wurden nur sechs Analysen gemacht.[2] Diese Untersuchung lässt sich daher kaum „repräsentativ“ nennen, sondern eher „selektiv“.[3]
Video: PAK Fund zwischen Bauwerk 8 und 9 nach Aufhebung des Baustopps (Video vom 27.7.23)
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass nicht die Bau-ARGE, die für die PAK-Stücke verantwortlich war, das Gift entsorgen musste, sondern dass das Regierungspräsidium selber an zwei Tagen mit mehreren Mitarbeiterinnen nach PAK-Brocken gesucht [4] und in Anbetracht der Menge (oder der mangelhaften Begehbarkeit des Damms?) offensichtlich nicht alles gefunden hat (Video rechts).
Aber auch die nachträglichen Untersuchungen von anderer aus dem WASAG-Gelände verlagerter Erde waren mangelhaft:
· Sie umfassten in der Regel nur die Oberfläche und die Ränder der Dammaufschüttungen, und damit nur Erde aus den kaum kontaminationsverdächtigen tieferen Schichten des WASAG-Geländes, die bereits monatelang Niederschlägen ausgesetzt war, so dass eventuell dennoch vorhandene Kontaminationen schon lange ausgespült waren. Der Grund für diese oberflächliche Entscheidung ist dokumentiert: Die Stabilität der Dammaufschüttungen sollte nicht beeinträchtigt werden.
· Die Anforderungen an die Qualitätssicherung wurden nicht eingehalten: statt vorgabengemäß 15-25 Einzelproben zu einer Mischprobe zusammen zu fassen wurde teilweise nur eine Probe genommen und es wurden nicht die in der Bodenschutzverordnung geforderten Parameter beprobt (anders als bei einer ersten Beprobung im August 2021: hier wurden Grenzwerte für Sulfat und Glühverlust überschritten, so dass die Erde entsorgt werden musste. Diese Parameter wurden bei der Erde des WASAG-Geländes danach nicht mehr beprobt.)
Auch die nachträglich angeforderte vorsorgliche Untersuchung südlich der Artilleriestraße umfasste nicht die dort geforderten Parameter. Und sie wurde nicht von einem zertifizierten Institut genommen, sondern von der Bau-ARGE selber.
Aber selbst der Umstand, dass bei einer Freimessung in zwei Feldern die Grenzwerte für PAK, die eine Verlagerung erlaubt hätten, überschritten wurden, blieb folgenlos: Die Bau-ARGE wurde nicht daran gehindert, diese Erde sogar in der Wasserschutzzone II zu verbauen.
[1] Denn der untere Bereich des Damms war bereits VOR dem Aufriss der Artilleriestraße eingebracht worden und entstammte damit NICHT der mit Hexyl kontaminierten Baugrube. Und die in den beprobten obersten 10 – 30 Zentimetern stammt die Erde – wenn überhaupt – aus den am wenigstens wahrscheinlich kontaminierten Bereichen aus dem unteren Teil der Baugrube an der Artilleriestraße. Die andere Färbung der Erde im Bild ganz oben lässt dabei eher darauf schließen, dass diese Erde einen anderen Ursprung hat.
[2] Die Vorgabe des Regierungspräsidiums Gießen ist, für Verlagerungen in die Wasserschutzzone II eine Probe pro 500 m3 durchzuführen. Die hier eingebrachten 12.000 m3 machen demnach 24 Proben erforderlich.
[3] Auch ist nicht nachvollziehbar, wieso hier „von einem oberflächlichen Eintrag im Nachgang zur Aufschüttung des Damms ausgegangen“ wurde - das klingt wie eine Verleumdung von Autobahngegner:innen.
[4] Die Bau-ARGE war offenkundig lediglich für die Baggerschürfen verantwortlich.