Woche 2: Altlasten

Die Trasse der A49 führt durch eins der größten und gefährlichsten Rüstungsaltlastengelände Europas, das der WASAG in Stadtallendorf. Hier wurden zu Kriegszeiten ca. 6.000 Tonnen des hochgiften Sprengstoffs Hexyl hergestellt und rund 100.000 Tonnen Munition verfüllt. Nachdem Krieg wurdec Sprengkörper der Allierten"delaboriert", also zurückgebaut und viele Gebäude gesprengt. Damit kann ist in keinem Teil des Bodens des WASAG-Geländes sicher, dass er nicht mit Sprengstoffen vergiftet ist. 

 

Es zeigten sich dabei deutlich größere Kontaminationen als vorher angenommen, so dass die Sanierung im August 2020 mit mindestens fünfmonatiger Verspätung beendet wurde. Außerhalb dieser Verdachtsflächen wurde im Rahmen der Sanierung keine Erde beprobt, auch nicht im Bereich der von Anwohner:innen im April 2021 entdeckten Grundmauern eines unbekannten Gebäudes. Damit blieben sämtliche durch die Sprengungen nach dem Krieg verursachten kleinen „Hotspots“ an Kontaminationen unentdeckt. 

8.2.23 Keine Beprobung von verlagerter Erde entgegen den Vorgaben

Für den Ausbau der Autobahn werden im WASAG-Gelände fast 500.000 m3 Boden abgetragen. das entspricht einem 100 Meter langen Schwimmbecken, das 20 Meter breit ist und 250 Meter tief ausgegraben wird!  Laut dem Planfeststellungsbeschluss soll dieser Abtrag in dem (minimalistischen) Umfang von einer Probe pro 5.000 m3  „entsorgter“ Erde beprobt werden, also (laut Fuhrscheinliste)einer Probe auf ca. 500 LKWs bzw. einer Probe pro zweieinhalb Meter des oben beschriebenen Schwimmbeckens! Aber diese Beprobung wurde nicht durchgeführt. Dabei gilt Boden dann als entsorgt, wenn er seinen angestammten Platz verlässt. Dementsprechend heißt es im Planfeststellungsbeschluss zum Thema Projektmanagement bei der Entsorgung der Aushubmassen: zeitnaher Abtransport des Bodens zur Verwertung bzw. Beseitigung. Das bestätigt, dass Boden aus dem WASAG-Gelände auch dann als "entsorgt" gilt, wenn er weiter verwendet wird. (Ein weiterer Beweis ist, dass es in einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums in 2007 hieß: "Unbelastete Böden sind nach jeweils 5000 Kubikmeter entsorgter Böden auf Schadstofffreiheit eine stichprobenartigen Kontrolle zu unterziehen". )

Das ist insofern problematisch, da durch die Erdarbeiten Schadstoffe in Bewegung gebracht werden können, die dann durch Regen ins Grundwasser gelangen. Abseits des WASAG-Geländes wird das Grundwasser aber nicht auf sprengstofftypische Verbindungen beprobt, so dass die Verlagerung von Giften nicht aufgespürt werden kann.

9.2.23 Bodenmanagementkonzept entspricht nicht den Vorgaben

Aufgrund der großen Gefahren für das Grundwasser muss zu entsorgender Bodenaushub laut Planfeststellungsbeschluss zwischengelagert, unverzüglich deklariert und zeitnah abtransportiert werden. [PFB S. 62] Das Bodenmanagementkonzept der Bau-ARGE sieht für den potentiell vergifteten Boden des WASAG-Geländes aber nichts dergleichen vor und es erlaubt, dass  (optisch und geruchlich) „unauffälliger“ Boden wieder eingebaut wird. Das ist unverantwortlich, denn in dem Konzept ist dokumentiert, dass trotz der „erfolgreichen Sanierung“ im WASAG-Gelände noch "abfalltechnisch relevante Schadstoffbelastungen" vor Ort vorhanden sind. Und diese giftigen Sprengstoffverbindungen sind erst bei sehr hohen Konzentrationen sichtbar: Boden darf nur mit einem Gehalt von bis zu 0.02 mg/kg Sprengstoff außerhalb des WASAG-Geländes wieder eingebaut werden, die Hexylklumpen an der Artilleriestraße enthielten aber 1.800 und 4.200 mg/kg, also die 90.000fache und 210.000fache Menge. Das zeigt überdeutlich, dass mit den Augen nicht erkennbar ist, ob Boden zu sanieren ist oder nicht. Und das macht es mehr als wahrscheinlich, dass belastete Erde in die Wasserschutzzone II verlagert wurde. Auch von dem im Planfeststellungsbeschluss geforderten zeitnahen Abtransport kann keine Rede sein:  die Haufen mit Hexyl lagen fast fünf Monate auf der Trasse, ohne dass der Boden unterhalb des Haufens abgedichtet gewesen wäre. Und da die Abdeckung immer wieder löchrig war, konnte Regen die dokumentierten Schadstoffe in den Untergrund schwemmen. (Vgl. Foto)

10.2.23 Verlagerung von belasteter Erde in die Wasserschutzzone

Verschiedene Gutachten zeigen auf, dass sowohl außerhalb wie auch innerhalb des WASAG-Geländes Erde nur dann wieder eingebaut werden darf, wenn die Werte für das hochgiftige PAK 3 mg/kg nicht überschreiten (die schwarzen Schichten auf den im Juni 22 gefundenen Steinen sind höchstwahrscheinlich solches PAK). Zwar sind in etlichen sanierten Baugruben deutlich höhere "Restkontaminationen" dokumentiert, da die Erde nur bis zu einem Wert von 20 mg/kg PAK saniert werden musste, und auch bei Nachbeprobungen wurden Werte von über 3 mg/kg gemessen,  - dennoch wurde der Boden nicht vorschriftsmäßig entsorgt, sondern innerhalb und außerhalb des WASAG-Geländes in der Wasserschutzzone wieder eingebaut. Das Regierungspräsidium kann trotzdem keinen Zusammenhang mit der Messung von sprengstofftypischen Verbindungen im Wasser vor Ort erkennen, siehe S. 27 des Protokolls des hessischen Landtags.

11.2.23 Lückenhafte Fuhrscheinprotokolle

Bereits vor dem Beginn der Fuhrscheinlisten der Bau-ARGE am 19.7.21 sind Verlagerungen aus dem WASAG-Gelände dokumentiert. In dieser findet sich seltsamerweise auch kein Hinweis, woher die Erde stammt, die bei Dannenrod viele Meter hoch eingebaut wurde (siehe Foto vom 11.6.22). Damit ist nicht überprüfbar, ob die Erde nicht aus dem WASAG-Gelände kommt, wie den Anwohner:innen versichert wurde! (Hier gilt übrigens eine sehr viel strengere Wasserschutzverordnung als in Stadtallendorf!)

12.2.23 Lückenhafte Beprobung

Auf dem Trassengelände befanden sich zu Kriegszeiten zwei Lager für Dinitrodiphenylamin. Diese Lager wurden allerdings nicht auf Dinitrodiphenylamin, sondern nur auf andere Stoffe beprobt. Und weil diese nicht nachgewiesen werden konnten und sich damit der Kontaminationsverdacht nicht bestätigt habe, wurden die Lager für Dinitrodiphenylamin nicht saniert. Im September 2022 versuchte das  Regierungspräsidium die Gefahr herunterzuspielen: "In der Beprobung des Bodens ... ergaben sich keine organoleptischen Auffälligkeiten ... Weiterhin gibt es keine Hinweise auf Havarien oder sonstige Schadstoffaustritte im Lagerbereich. Eine Kontamination mit Dinitrodiphenylamin erscheint daher nicht zwangsläufig hoch ..., " dabei gab es solche Hinweise auch nicht bei den Flächen, deren hochgradige Kontamination sich erst im Laufe der Sanierung zeigte. Das Regierungspräsidium kam zwar zu dem Schluss "eine Nachuntersuchung auf Dinitrodiphenylamin .. zu fordern ..." Allerdings hat es nicht den Anschein, dass dieser Forderung bis zum heutigen Zeitpunkt entsprochen wurde. Hier geht es zu weiteren Mängeln bei der Beprobung.

13.2.23 Trotz Kontaminationsverdacht keine Untersuchungen an der Artilleriestraße 

Im Mai 2022 wurde wegen des Fundes von Hexyl ein Teilbaustopp verhängt. Laut Aussagen der Verantwortlichen stammt der Hexylfund aus der Erde unterhalb der aufgerissenen Artilleriestraße. Dazu heißt es bei Hit Radio FFH: 

"Schon in vergangenen Jahren wurden im Bereich Stadtallendorf die Böden auf gefährliche Hinterlassenschaften der Munitionsfabrik untersucht. Regierungspräsidiumssprecher Thorsten Haas zu FFH: "Es gab Rasteruntersuchungen und auch Bereinigungen." Der Bereich der Artilleriestraße in Stadtallendorf sei dabei bewusst ausgenommen worden. Man habe sonst die Straße sonst wie einen Schweizer Käse durchlöchern müssen ..." Keine Erklärung wird dazu abgegeben, warum mit dem Aufriss der Straße die Untersuchungen nicht nachgeholt wurden, obwohl dieses Gebiet in einer Studie ausdrücklich zu einer Fläche mit Untersuchungsbedarf gehört. 

14.2.23 Entgegen dem Bodenschutzrecht keine Meldung von belasteter Erde 

Im Bodenmanagementkonzept der Bau-ARGE heißt es zwar entsprechend dem Bodenschutzrecht, dass bei einem Verdacht auf Altlasten die Bautätigkeit an dieser Stelle eingestellt und die Obere Bodenschutzbehörde beim Regierungspräsidium Gießen informiert wird. Die Bau-ARGE meldete den Hexylfund aber nicht, obwohl die Abdeckung des Haufens zeigt, dass sich die Bauausführenden der Kontaminationsgefahr bewusst waren und obwohl die roten Verfärbungen hohe Schadstoffkonzentrationen anzeigen. Stattdessen verlagerte sie vor der Abdeckung einen Teil des Haufens - und zwar den, in dem später die hohen Kontaminationswerte gemessen wurde. Kein Wunder, dass sie auch verschwieg, dass der nach der Meldung des Fundes von Anwohner:innen verhängte Teil-Baustopp nicht nur für die Fundstelle verhängt wurde, sondern gleichfalls für einen Bereich in der Wasserschutzzone II, in den die Erde ohne vorherige Beprobung verlagert worden war.